Ultramikroskop macht Rückenmark durchsichtig

Eine neue Mikroskopier-Methode lässt Gewebe durchsichtig werden. Durch eine Kooperation der TU Wien mit dem Max-Planck-Institut für Neurobiologie in München kann man nun die Regeneration von Nervenzellen im Rückenmark detailliert untersuchen.

3D-Rekonstruktion eines Mäuserückenmarks

Nervenzellen können sich nach Rückenmarkverletzungen wieder regenerieren. Wie sie das tun, war bis heute schwer zu erforschen: Wollte man bisher ins Innere des Rückenmarks blicken, musste man Proben in feine Scheiben schneiden und sie nacheinander untersuchen. An der Fakultät für Elektrotechnik und Informationstechnik der TU Wien wurde eine Methode entwickelt, die das Gewebe durchsichtig werden lässt. Dadurch sind tiefe Blicke in Struktur des Rückenmarks möglich, feinste Details in der Größenordnung von Tausendstelmillimetern werden sichtbar. In Zusammenarbeit mit dem Max-Planck-Institut für Neurobiologie wurde die neue Ultra-Mikroskop-Methode nun im Fachjournal „Nature Medicine“ vorgestellt.

Durchleuchten statt zerschneiden
„Schneidet man Gewebe in dünne Scheiben, können Zellen gequetscht oder verschoben werden. Die einzelnen Scheiben am Computer zu einem dreidimensionalen Bild zusammenzubauen ist daher oft kaum möglich“, erklärt Nina Jährling vom Lehrstuhl für Bioelektronik am Institut für Festkörperelektronik der TU Wien. Sie arbeitet daher zusammen mit ihrem Kollegen Dr. Klaus Becker an Methoden, einen direkten Blick ins Gewebe zu ermöglichen. Hierzu verwenden Sie ein neues Ultramikroskop, dass unter Leitung von Prof. Hans-Ulrich Dodt entwickelt wurde.
Das Nervengewebe besteht zu einem großen Teil aus Wasser und Proteinstrukturen. Beides lässt Licht durch – warum ist das Gewebe dann nicht überhaupt von vornherein durchsichtig? Die Antwort liegt in der Lichtstreuung, ähnlich wie bei Wolken: Eine Wolke besteht aus Wassertröpfchen und Luft – also aus zwei durchsichtigen Substanzen. Trotzdem sieht die Wolke wattig weiß aus, nicht transparent. Wasser und Luft haben unterschiedliche optische Eigenschaften, daher werden die Lichtstrahlen in der Wolke gestreut. Dasselbe geschieht in den Rückenmark-Gewebeproben: „Auch im Mäusegewebe, das wir untersuchen, haben Proteinstrukturen und Wasser einen unterschiedlichen optischen Brechungsindex“, erklärt Prof. Dodt. Ersetzt man das Wasser durch eine Flüssigkeit, die genau dieselben optischen Eigenschaften hat wie die Proteinstrukturen, können Lichtstrahlen auf geradem Weg durch das Gewebe gelangen, ohne abgelenkt oder gestreut zu werden. Das Gewebe wird durchsichtig.

Laserstrahl lässt Gewebe leuchten
Um dann im durchsichtigen Gewebe feine Strukturen erkennen zu können, werden die Proben mit einem Laserstrahl zum Fluoreszieren angeregt. Schicht für Schicht wird das Gewebe durchleuchtet, das helle Fluoreszieren der Proteinstrukturen wird durch ein Mikroskop abgebildet. Am Computer setzt man diese Schichtbilder dann zu einem dreidimensionalen Objekt zusammen. „Es war eine große Herausforderung, die Methode so zu verbessern, dass sie nun für die wirklich interessanten Gewebetypen anwendbar ist, nicht nur einzelne Spezialfälle“, erklärt Dr. Klaus Becker.„Entscheidend war dabei, Chemikalien mit genau den richtigen optischen Eigenschaften zu finden, und sie dann anstatt des Wassers ins Gewebe einzubringen.“ 

Neue Möglichkeiten für medizinische Grundlagenforschung Die neue Mikroskopier-Methode soll es nun möglich machen, die genaue Verschaltung der Nervenzellen im Rückenmark zu entschlüsseln. Wie die einzelnen Neuronen miteinander verknüpft sind, ist bis heute noch größtenteils unbekannt. In der Medizin wird nach Methoden gesucht, Wachstum und Regeneration verletzter Nervenzellen zu fördern. Mit der neuen Technik ist es nun möglich, die Wirksamkeit dieser Methoden genau zu untersuchen. Auch für andere Gewebetypen ist die Methode verwendbar - etwa zur Untersuchung von Tumorgewebe. „Unsere Ultramikroskopier-Technik soll ein wichtiges Werkzeug in ganz unterschiedlichen Bereichen der medizinischen Grundlagenforschung werden“, ist Prof. Dodt zuversichtlich.

Bilderdownload: http://www.tuwien.ac.at/index.php?id=11981 

Originalpublikation http://www.nature.com/nm/journal/vaop/ncurrent/pdf/nm.2600.pdf 

Rückfragehinweise:
Univ. Prof. Hans Ulrich Dodt
Dipl.-Biol. Nina Jährling

Institut für Festkörperelektronik
Technische Universität Wien
Floragasse 7, 1040 Wien
hans-ulrich.dodt@tuwien.ac.at 
hans-ulrich.dodt@meduniwien.ac.at 
nina.jaehrling@tuwien.ac.at 
nina.jaehrling@meduniwien.ac.at